Ein Beitrag von Christina: Meine Top 5

Christina und ich haben beschlossen, in unserer Werkstatt Buchbesprechungen "abzuhalten": Christina hat einen großen Fundus an feministischer Literatur (aus dem ich mich auch schon mehrfach bedient habe) und auch bei mir ist der Stapel mit  Büchern zu feministischen Themen und zum Thema Chancengleichheit und Antidiskriminierung in letzter Zeit stetig gewachsen...Grund genug, hier ein paar Bücher (und unsere Gedanken dazu) aufzulisten. Christina macht mit folgendem Beitrag den Anfang:


Meine Top 5 der Bücher mit feministischen Inhalten aus 2016

2016 ist Geschichte und für eine Vielzahl an Medien, Informationsdiensten und Privatpersonen konnte es zuletzt gar nicht schnell genug vorbeigehen. Zugegebenermaßen haben im vergangenen Jahr einige Ereignisse stattgefunden, die auch ich am liebsten vergessen bzw. noch lieber ungeschehen machen würde, wenn ich könnte. Allerdings sträube ich mich dennoch gegen einen solchen Abgesang und die überfrachteten Erwartungen an 2017, ganz nach dem Motto „wenn ich nur fest dran glaube, dann wird schon alles besser!“. Das ist mir persönlich zu naiv, fatalistisch und zu unwahrscheinlich. Viel lieber wäre mir eine konstruktive Auseinandersetzung damit, was denn konkret besser werden soll und muss und vor allem wie das tatsächlich praktisch aussehen könnte!

 

Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf fünf wunderbare Bücher mit unterschiedlichen feministischen Themen aufmerksam machen, die 2016 für mich bereichert haben und die sich hervorragend für eine konstruktive Auseinandersetzung gesellschaftlicher wie politischer Belange in 2017 eignen:

 

1) Julia Korbik – Stand up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene

Wunderschön gestaltet eignet sich Korbiks gut 400 Seiten umfassendes Werk ausgezeichnet für einen Einblick in die theoretischen Grundlagen des Feminismusbegriffs, seiner Entwicklung sowie der Historie unterschiedlicher Strömungen in diesem Zusammenhang. Neben der Vorstellung diverser Vertreter_innen werden aktuell politische Themen aufgegriffen, Aspekte feministischer Popkultur berücksichtigt und Hindernisse ausstehender Gleichberechtigungsrealisierung thematisiert. Das Buch informiert überblicksartig und umfassend bei leichter Verständlichkeit. Ebenso liefert es etliche Querverweise zu weiterführenden Informationen aller Art, die im Rahmen von Feminismen von Relevanz sind.

 

Subjektive Favoriten: „Zwölf fabelhafte feministische Ideen“ (S. 393-399), Glossar (ab S. 402)

 

Fazit: Absolut empfehlenswert für einen thematischen Einstieg sowie leicht verständlichen Überblick. Die Gestaltung ist ein zusätzlicher Hammer.

2) Sarah Diehl - Die Uhr, die nicht tickt

Anders als Korbik beschäftigt sich Diehl in ihrem Buch mit einem Thema, das nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Es geht um den vermeintlich „natürlichen“ Wunsch von Mutterschaft jeder Frau - und dem gesellschaftlichen Druck, wenn eine Frau aus freien Stücken keine Kinder bekommen möchte. Diehl beleuchtet dabei umfassend und sorgfältig sowohl die historischen Komponenten als auch die aktuelle Instrumentalisierung eines vermeintlich angeborenen Mutterinstinkts und dem damit einhergehenden Konformitätsdruck. Die Inhalte basieren dabei z.T. auf Interviews, Diehl bettet diese in politische und gesellschaftliche Diskurse ein. Das Buch bietet dabei eine Fülle an vertiefenden Informationen sowie Zusammenhängen struktureller Normierung in der deutschen Gesellschaft. Darüber hinaus ist es Diehl ein Anliegen, durch ihre Arbeit Akzeptanz gegenüber alternativen Familienformen und Lebensentwürfen zu fördern.

 

Subjektive Lieblingssätze: „Je länger ich mich mit diesem Thema beschäftigte, umso mehr Fragen kamen mir in den Sinn. Und umso verärgerter war ich darüber, wie verunsichert Frauen zwischen dreißig und vierzig sind, denen permanent eingetrichtert wird, dass ohne eigene Kinder etwas Wesentliches in ihrem Leben fehlt.“ (S. 15)

 

„Bei dem Absolutheitsanspruch, der mit Mutterschaft nach wie vor verbunden ist, gelingt es Frauen kaum, eine wirklich freie Wahl zu treffen, Konventionen zu hinterfragen und Freiräume für sich überhaupt erst zu verhandeln.“ (S. 136)

 

Fazit: Sehr lesenswert, da Diehl a) eine sehr gute und verständliche Analyse der komplexen Problematik liefert, die die Zwickmühle vieler Frauen zwischen beruflicher Karriere und Mutterschaft und vor allem den damit verbundenen z.T. entgegengesetzten überhöhten strukturellen sowie interindividuellen Erwartungen offenlegt, b) eine hervorragende Diskussionsgrundlage und Gegenargumente zum Thema liefert und c) darüber hinaus auch noch Anstoß und Mut zur Veränderung und Weiterentwicklung gibt.

3) Laura Bates – Everyday Sexism

Das Buch ist im Rahmen des „Everyday Sexism Project“ entstanden, das die Aktivistin und Autorin Laura Bates 2012 ins Leben gerufen hat. Das Projekt sammelt sexistische Alltagserfahrungen via Social Media, diese werden im Buch beispielhaft gemeinsam mit zugehörigen Statistiken in insgesamt 12 Kapiteln dargestellt, um so die gesellschaftliche Tragweite von Sexismus und dessen Mechanismen zu verdeutlichen. Bates geht es mit dem Buch darum, das Alltägliche sexistischer Diskriminierung sowie seine unterschiedlichen Formen und Stärken herauszustellen und darüber hinaus offenzulegen, welche Auswirkungen damit einhergehen. Das Projekt hat eine riesige Resonanz hervorgerufen, die die Alltäglichkeit von Sexismus unterstreicht und durch die unendlich vielen Beispiele so eindringlich ist, dass dies subjektiv beim Lesen z.T. nur schwer zu ertragen war. Aber gerade das sollte kein Grund gegen, sondern gerade für die Lektüre sein – zur Verdeutlichung, dass Sexismus nach wie vor fester Bestandteil von Politik, Medien, Arbeitsumfeld, Elternschaft, öffentlichen Räumen und und und ist!

 

Eingängige sexistische Beispiele: „At school, a teacher said it was good that ´masculine´girls like me wanted to go into politics because most women were only there because men let them, to ´shut up the feminists for a bit´.“ (S. 51)

 

„Age 18: After going out with a close long term friend to a party, I stayed over at his. I slept on the floor and crashed out with exhaustion. I woke up with his fingers inside of me. I had no idea how to react. So I waited it out.“ (S. 113)

 

„Was just told to ´cheer up´ by two men. When I didn´t, they yelled ´slag´and ´dirty little cunt´. This didn´t cheer me up.“ (S. 177)

 

Fazit: Bates bietet in ihrem Buch einen umfassenden Überblick über die Alltäglichkeit von Sexismus und welche Auswirkungen dieser auf Gedanken, Emotionen und Verhalten sowie normative Rollenzuweisung hat. Durch die unendlich vielen Beispiele und die dazugehörigen statistischen Daten sowie Bates Ausführungen wird auf schockierende Weise deutlich, dass es sich für einen Großteil der Menschen eben nicht um einen gelegentlichen Scherz, sondern um ein alltägliches Problem handelt, das sich in unterschiedlicher Form und Stärke zeigt und bis hin zu aktuer Lebensgefahr reichen kann. Eben deshalb sind das Buch sowie das Projekt wahnsinnig wichtig. Das Lesen des Buchs verärgert, schockiert und ist z.T. schwer zu ertragen und zwingt genau deshalb zu einer Auseinandersetzung mit der Problematik. Absolut empfehlenswert!

4) Sabine Hark & Paula-Irene Villa (Hrsg.) – Anti-Genderismus

Die Professorinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa haben einen Sammelband herausgegeben, der sich sozial- und kulturwissenschaftlich mit der Problematik Anti-Genderismus („...´Anti´-Haltung, eine Abwehr gegen Gender beziehungsweise gegen das, was diesem Begriff unterstellt wird“, Hark & Villa, 2015 S. 7) und damit verbundenen Wechselwirkungen sowie Zusammenhängen analytisch auseinandersetzt. Dabei werden wissenschaftlich umfassend aktuelle gesellschaftliche wie politische Entwicklungen betrachtet und analysiert, wie etwa der Widerstand gegenüber dem Gender-Begriff, -Inhalten und europäischer Gleichstellungspolitik von rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen sowie kirchlichen Strömungen. Der Sammelband basiert dabei auf Vorträgen und Diskussionen, die im Rahmen des Soziologiekongresses 2014 der Deutschen Gesellschaft für Soziologie stattfanden und bietet einen wissenschaftlich fundierten Überblick zur Thematik sowie eine mehrdimensionale Analyse damit einhergehender Phänomene und Zusammenhänge in Form von insgesamt 14 Beiträgen.

 

Subjektive Lieblingssätze: „In forschender Absicht hinterfragt der Gender-Begriff das Apriori einer gegebenen, unveränderlichen und naturhaften Essenz der Geschlechterdifferenz.“ (Hark & Villa, 2015 S. 8)

 

"Im antifeministischen Diskurs um „Gender“ in der extremen Rechten werden Vorstellungen einer „natürlichen“ Geschlechterordnung artikuliert. Zugleich haben Teile der extremen Rechten hierin ein Thema ausgemacht, von dem sie sich Anschluss an gesamtgesellschaftliche Diskurse um die Bedeutung geschlechterpolitischer Begriffe und Kategorien erhoffen.“ (Lang, 2015 S. 176)

 

Subjektive Lieblingskapitel: „Familie und Vaterland in der Krise“ von Juliane Lang; „Paradoxien konservativen Protests“ von Jasmin Siri; „Anti-Genderismus im Internet“ von Kathrin Ganz und Anna-Katharina Meßmer

 

Fazit: Das wohl wissenschaftlichste Buch zur Thematik, das ich 2016 gelesen habe. Ebenfalls sehr zu empfehlen, da es für einige Aha-Momente bzgl. der Zusammenhänge konservativer Proteste, kirchlicher Widerstände und Forderungen bis hin zu Diffamierungen durch rechtspopulistischen Gruppierungen sorgt. Die Autor_innen liefern themenspezifisch sehr gelungene Analysen, die wichtige Argumente zugunsten vermehrter Vielfalt, Gleichstellung und Gerechtigkeit liefern und somit die Auseinandersetzung mit den Gruppen, die ebenjenes zu verhindern suchen, stärken. Insgesamt eignet sich die Lektüre meiner Meinung nach vor allem für all diejenigen Interessierten, die sich bereits mit der Thematik beschäftigt haben und Lust auf im sozial- und kulturwissenschaftlichen Duktus geschriebene Texte haben.

5) Eike Sanders, Ulli Jentsch & Felix Hansen – „Deutschland treibt sich ab“

Sanders, Jentsch und Hansen greifen ebenso wie Diehl eine spezifische, feministisch überaus relevante Thematik auf und schließen dabei eine bisherige Lücke. Inhaltlich beschäftigt sich das Buch mit der Abtreibungsgegner_innenschaft, die sich selbst als (organisierter) „Lebensschutz“ bezeichnet und antifeministische, christlich-fundamentale und (ultra-)konservative Positionen vereinigt. Die Autoren liefern mit ihrer dezidiert zusammengestellten Recherche einen bisher fehlenden, wichtigen Überblick aktueller Entwicklungen über die Inhalte, Ziele und Gruppierungen der sogenannten „Lebensschützer_innen“. Dabei werden Verbindungen und Überschneidungen einzelner Akteur_innen mit politischen Parteien und Gruppierungen sowie weiteren Verbänden deutlich. Es wird sehr anschaulich herausgearbeitet, dass es nahezu allen Organisationen mitnichten um Selbstbestimmung und Schutz individuellen Lebens, sondern vielmehr um antidemokratische Inhalte, tradierte Rollenbilder und Verhinderung von Gleichstellung geht.

 

Subjektive Lieblingssätze: „Es geht den ´Lebensschützern´ mehrheitlich nicht um ein besseres Leben für die ´Schwächsten´ und Ausgestoßenen, sondern um die Restrauration traditioneller Geschlechterverhältnisse – mit repressiven Mitteln. Männer machen Politik mit den Körpern von Frauen.“ (S. 93)

 

„Die Bewegung ist heterogen. Sowohl AkteurInnen als auch ihr Auftreten nach außen changieren einerseits zwischen sich seriös und weltlich gebenden professionellen LobbyistInnen und andererseits bibelfesten FundamentalistInnen, von denen man denkt, sie seien direkt dem Mittelalter entsprungen.“ (S. 94)

 

Fazit: Ebenfalls sehr zu empfehlendes Buch, wenn man sich dezidiert mit der Thematik auseinandersetzen möchte. Ähnlich wie die Lektüre von Bates sorgten die vielen Beispiele innerhalb der Lektüre für emotionale Reaktionen meinerseits in Form von Ungläubigkeit bis hin zu Wut. Ebenso führte es an mehreren Stellen zu subjektiv empfundenen Erkenntniszugewinn, da die Darstellung der Autoren zentrale Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und ihren Zielen und Strategien offensichtlich werden lässt. Aus diesen Gründen liefert das Buch ebenfalls wichtige und gute Argumente für entsprechende Diskussionen.

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