Eine Rede

Ich habe letztes Wochenende eine Schreibwerkstatt besucht. Da hat sich eine Gruppe von Menschen getroffen, um gemeinsam ins (kreative) Schreiben zu kommen und ein bisschen mit Wörtern zu jonglieren.

 

Ein Gespräch mit einem 73-jährigen Teilnehmer (wir hatten gerade Einstiegsübungen gemacht - 2 Minuten so langsam wie möglich schreiben und 2 Minuten so schnell wie möglich): Er: "Was ist die Mitte zwischen dem Schreiben in Schnelligkeit und Langsamkeit?" - Ich: "Mittelmäßigkeit."

 

Und damit war eigentlich die Marschrichtung vorgegeben und die Lust am Schreiben geweckt: Der Mittelweg, den kann ich nehmen. "Mittelmäßig" macht keinen Druck und schaltet den Perfektionismus aus. Und so ist auch folgender Text (eine fiktive Rede an ein fiktives Publikum) entstanden - mit dem Ziel mindestens "mittelmäßig" zu sein:

Eine Rede

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, alle die Sie hier versammelt sind!

Neulich habe ich in der Zeitung folgenden Comic gefunden:

Und ich habe mich folgendes gefragt:

1. Hätte ich doch Friseurin werden sollen?

2. Wie wichtig ist mir eigentlich in einer Diskussion das letzte Wort?

 

Das letzte Wort hat Macht.

Und Macht ist etwas über das ich in letzter Zeit auch oft ins Nachdenken komme:

Macht und Ohnmacht.

Die Medien sind voll von Bildern und Meldungen, die mich ohnmächtig und hilflos und sehr sehr klein zurücklassen:

Menschen werden fundamentale Rechte abgesprochen.

Sie werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Ethnie, Kultur, sexuellen Orientierung, ihres Alters und ihrer Religion diskriminiert und abgewertet.

Und das überall auf der Welt!

 

Und neben mir im Zug nach Köln!

Und im Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten!

Und im Restaurant beim Brunch.

Und natürlich in den Sozialen Netzwerken.

 

Das macht mich stumm vor Entsetzen.

Da fehlen mir die Worte, bei diesem Mangel an Empathie, der Wut und der Grausamkeit, die da zu hören und zu lesen sind.

 

Ich will etwas tun, und weiß doch gar nicht, wo ich anfangen soll.

"Jetzt können wir am eigenen Leib erfahren, wie es unseren Groß- und Urgroßeltern zu Beginn des Dritten Reiches ging", hat mir eine Kollgin im Gespräch über unsere Ängste gesagt. Und sie hat gesagt: "Ich würde auf jedenfall jemanden auf meinem Dachboden verstecken." - Ich hätte nie gedacht, dass dieser Satz je wieder in einem Gespräch über die politische Lage fallen könnte...und er klingt mir auch immer noch sehr fremd.

 

Und trotzdem macht sich eine Ahnung breit: Weiß ich denn, wieviele Menschen sich momentan auf irgendwelchen Dachböden verstecken müssen???...

 

Klar, das ist eine Abkehr von meiner Vorstellung von Realität und Normalität...

Aber ist es nicht genau das, was AfD, Trump in Amerika und alle rechtsextremen Parteien in Europa momentan machen?

Sie verletzen - nein trampeln - die Grenzen unserer Normalität nieder.

 

Die Soziologin Eva Illouz hat sich mit den Provokationen der letzten Zeit auseinandergesetzt und auch mit den Protesthandlungen dagegen.

Sie sagt: Protest gegen Tabubrüche von Rechts darf nicht stumm sein.

Sie wirft aber auch die Frage auf, ob neue Protestformen gefunden werden müssen, gegen diese neue Form von antidemokratischen Strömungen.

 

Macht - da ist das Wort wieder:

Wie können Machtverhältnisse in Balance gebracht werden, Machtverhältnisse, die vollkommen aus dem Ruder scheinen und zur Seite der hassenden pöbelnden Massen kippen?

 

Wer wird das letzte Wort haben?

Und was wird das letzte Wort sein?

Ein "Schießt!"? Ein "Amen" oder "Inshallah" oder "So sei es"? Ein gegenseitiges Zunicken? Ein "Daumen hoch"? Ein "Over and Out"?

 

Ich möchte meine Kraft in der kommenden Zeit dazu nutzen, Schritt für Schritt aus meiner Starre und Ohnmacht herauszutreten, oder notfalls herauszutanzen!

 

Und dann: neue, unmögliche, irritierende, komische, anstrengende, kreative, leise, hoffnungsvolle, holprige, laute, ungeplante und geplante Wege finden gegen das hässliche Gebrüll.

 

Und mein letztes Wort sei ein DANKE.

 

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