Ich habe ganz viele Themen, die mich brennend interessieren und mit denen ich mich beschäftige. Und zum Glück habe ich in meinem Umfeld Menschen denen das auch so geht. Daher ist das hier mein/ unser Experimentierraum und ihr dürft in Form eines Blogs daran teilhaben! Wer mit eigenen Ideen mitgestalten möchte, kann sich gerne bei mir melden!
In letzter Zeit wird hier wieder viel in Acryl und mit Wasserfarben gemalt - und bitte bunt!
Im Ankündigungstext der Zeitschrift Leicht&SINN heißt es: „Ich will, dass (endlich) etwas passiert.“ – Mit diesem Gedanken begann schon so manche Revolution. Die feministische Philosophin und Autorin Eva von Redecker hat (gelingende) Revolutionen untersucht und festgestellt: Meist ist das Revolutionäre erst Ergebnis eines schrittweisen Prozesses. Die Steuerung von unterschiedlichen – kleinschrittigen – Aktivitäten auf allen Ebenen erweist sich als nachhaltig und effektiv, um Veränderungen zu fördern und zu etablieren.
Wer den Artikel lesen möchte, findet ihn hier. Zum Artikel gehören auch Methoden aus der Praxis und Einblicke in mein Seminargeschäft. Viel Vergnügen beim Lesen und "Vive la révolution!"
Mein Trauerbegleitungskollege Thomas Achenbach hat einen Podcast. Zur aktuellen Folge hat er mich eingeladen und mich gefragt, ob ich mit ihm über ein Trauer-Thema meiner Wahl sprechen möchte. - Ein Thema, das mich schon länger interessiert und in dem ich immer wieder neue Aspekte entdecke ist die "Ökologische Trauer", also die Trauer um den Verlust unseres Planeten durch die Klimakrise. Wenn ihr Lust habt, dann hört doch mal rein. Hier geht´s zum Podcast.
Ich habe den Podcast von Tupoka Ogette (Tupodcast) gehört. In Folge 2 (schon!) muss sie die Anfragen (von zwei weißen Männern!) beantworten, warum sie keine weißen Männer in ihren Podcast einlädt. Ganz einfach: Deren Perspektive ist die gesellschaftliche Norm. Ist unser aller Alltag. Bestimmt alle unsere Sichtweisen. Wikipedia-Artikel werden vor allem von weißen Männern geschrieben. Regisseure von (gut bezahlten, erfolgreichen) Filmen sind meist weiße Männer. Die Menschen, die die Gesetze machen oder gemacht haben sind weiße Männer. Und so weiter und so fort… Und weil das die bestimmende Sichtweise ist, werden Perspektiven von Schwarzen Menschen und People of Color negiert, als „anders“ und abweichend gewertet – ihnen wird die Perspektive ab- und der Sichtweise widersprochen...
Deshalb – so Tupoka Ogette – braucht es Räume (wie ihren Podcast), in denen unwidersprochen die eigene Sichtweise Bestand haben kann. Räume, in denen die eigenen Erfahrungen nicht abgesprochen werden, in denen die eigene Sichtweise nicht ins Lächerliche gezogen oder klein gemacht oder heruntergespielt wird. Räume in denen Verständnis herrscht und Wertschätzung. Das heilt und lässt durchatmen.
Tupoka Ogettes Worte haben mich getroffen, wie ein Schlag: Ich bin nicht Schwarz. Ich bin eine weiße Frau – krass privilegiert – und trotzdem löst die klare Abgrenzung (oder besser: Eingrenzung?) die Tupoka Ogette für ihre Gäst*innen im Podcast vornimmt eine tiefe Sehnsucht bei mir aus: Eine Sehnsucht nach einem solchen Ort an dem mir nicht widersprochen wird. Ein Ort, an dem ich anderen widersprechen kann. Ein Ort, an dem ich mich nicht selbst, meine Werte und meine Sichtweisen verleugne, um keine negative Reaktion befürchten zu müssen. Ein Ort, an dem ich sagen und (öffentlich) zeigen kann, wie und wer ich wirklich bin.
Ohne dass mir meine Kompetenz abgesprochen wird. Ohne einen belustigten Gesichtsausdruck zu sehen. Ohne belehrt zu werden. Ohne in eine abwertende Schublade gesteckt zu werden. Ohne ein Kopfschütteln zu ernten. Ohne einen Gesprächsabbruch zu riskieren. Ohne direkt beleidigt, verspottet, niedergebrüllt und bedroht zu werden…Einen Ort, an dem es nicht darum geht, mich (bewusst oder unbewusst) mundtot zu machen, um die eigene Weltsicht nicht in Frage stellen zu müssen.
Wo finde ich solche Orte? Folgende (öffentliche) „Räume“ sind mir eingefallen:
Podcasts: Reden können, ohne dass mir eine andere Person dazwischenquatscht, wenn ich das nicht will. Zeichnungen: Die Zeichnung ist schon fertig, bevor mir jemand reingrätschen und widersprechen kann. Vorträge: am besten ohne eine Diskussion am Ende. Gedichte: Texte ohne Unterbrechung von außen. Filme/Videos: auch der Film ist schneller fertig, als jeman(n)d „aber…“ sagen kann!
ABER…wird jetzt irgendjeman(n)d sagen (der nicht gemerkt hat, dass das hier auch einer meiner Räume ist, in denen mir nicht widersprochen wird): ABER! Wie soll denn dann Meinungsbildung passieren? Wenn kein Diskurs stattfindet? Wenn Sichtweisen nicht verglichen werden? Wenn ich (dieser Jeman(n)d) meine Meinung nicht äußern darf?
Sorry (not sorry): Deine Meinung zählt an diesem meinem Sehnsuchts-Ort nicht. Deine Sichtweise ist mir da nicht wichtig. Das findet an meinem Ort nicht statt, an dem ich unwidersprochene Dinge sage! Ich setze mich in meiner Arbeit, in meiner Freizeit, in meinem Ehrenamt, in meiner Familie,…ständig Diskussionen, Anfragen, Abfragen, Anklagen und Widerspruch aus – es wäre wahnsinnig schön, einen Ort zu haben, an dem ihr Widersprechenden, Meinungsführenden, Besserwissenden dieser Welt einfach mal durchlesen, zuhören und ansehen würdet. - Und euch dann mit den von mir geschenkten neuen Sichtweisen auf den Weg macht an einen anderen Ort, um da eure Meinung zu bilden.
Und wenn ihr mich dorthin zu einer Diskussion einladet, dann komme ich vielleicht auch – wenn ihr mich gescheit dafür bezahlt.
Ich bin Sozialarbeiterin. Soziale Arbeit ist hauptsächlich eine Profession, die alles dafür tut, dass NICHTS passiert. „Prävention“ wird das genannt. Prävention ist eines der Paradigmen – und sollte immer die Basis – für Maßnahmen im Sozial- und Gesundheitssystem sein. Das Prinzip ist einfach: Je eher VORHER was getan wird, damit NICHTS passiert, desto weniger Scherereien hat man SPÄTER. Der Kapitalist würde das so ausdrücken: Es spart ungemein Geld, wenn NICHTS passiert. Better safe, than sorry.
Menschlicher ausgedrückt: Ich überlasse nicht alles und jede*n ihrem* seinem Schicksal: Ich tu eben alles, damit NICHTS passiert. Das ist Handlungsgrundlage für zum Beispiel alle Angebote der sogenannten „Frühen Hilfen“: frischgebackene Eltern werden über Angebote informiert, können sich Unterstützung und Beratung holen, es werden niedrigschwellige Angebote gemacht in denen einfach „nur“ geredet und Erfahrungen ausgetauscht werden können, es werden Unterstützungsnetzwerke gebildet in denen Kinderärzt*innen, Hebammen und Geburtshelfende, Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, Beratungsstellen, und noch viele mehr beteiligt sind, um passende Angebote zu stricken…Kurz: Alle arbeiten zusammen, dass das Kind und die Eltern gut starten können. Ein guter Start für ALLE Eltern und ALLE Kinder OHNE AUSNAHME. Die Angebote sind also PRÄVENTIV!
Wird dadurch verhindert, dass Eltern von neugeborenen Kindern überfordert sind und sie und das Kind drunter leiden? WAHRSCHEINLICH. VIELLEICHT. EVENTUELL. HOFFENTLICH!
Können wir das GANZ GENAU sagen? NEIN!
Die Krux bei PRÄVENTIVEN Angeboten ist nämlich, dass das Ergebnis schlecht messbar ist. Und es ehrlich gesagt aus ethischen und moralischen und menschenfreundlichen Gründen auch nicht gemessen werden sollte. Weil: Soll man, um den Vergleich zu haben, einfach ein paar Eltern und Kindern Unterstützung zukommen lassen und ein paar anderen nicht – und dann wird am Schluss geschaut, welche Kinder sich gut entwickeln und welche nicht und im Zweifelsfall endet das für manche Kinder tödlich??? ABSURD!
Das heißt also: Alle präventiven Maßnahmen verhindern, dass NICHTS geschieht. Und dieses NICHTS lässt sich nicht bis zur letzten Konsequenz messen. Wir wissen am Ende nicht DEFINITIV, ob die Maßnahmen geholfen haben, ob alle einfach nur Glück hatten, ob das Kind oder die Eltern Superkräfte haben, das Umfeld ein hilfreiches war...(Spoiler: Wahrscheinlich war es ein Zusammenspiel aus allem – aber wer weiß das schon? Die Einflussfaktoren sind zu vielschichtig und komplex um das genau zu sagen.)
Warum schreibe ich das alles?
Ich schreibe das, weil die Idee von PRÄVENTION und die Herausforderungen damit, auf die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie und die Kritik an den Maßnahmen zu deren Eindämmung übertragen werden können:
Es wird angesichts der Beschränkungen und Auflagen wild über „Einschränkung von Freiheiten“ und „Entmündigung“ und „Schikane“ diskutiert. „Maskenpflicht – wofür? Die Infektionszahlen gehen doch runter!“ – ich sprach im vorherigen Blogbeitrag davon…
Imre Grimm schreibt in einem Beitrag des RND am 21.05.2020: „Es zeigt sich ein vertrautes Problem von Vorsorgemaßnahmen [PRÄVENTION! Anm. d. Verf.]: Wenn sie wirken, ist der Grund, warum sie ergriffen wurden, nicht mehr zu spüren. Und die Akzeptanz sinkt.“
Wir tragen Masken, halten Abstand, waschen oft die Hände, bleiben Zuhause…damit NICHTS passiert! Mega sozialarbeiterisch by the way (siehe oben)! ;-)
Grimm spricht in Anlehnung an den britischen Epidemiologen Geoffrey Rose vom „Präventionsparadoxon“: „Ausbleibende Schäden sind unsichtbar.“ – Wenn NICHTS passiert, sieht man NICHTS und: NICHTS kann natürlich wieder mal schlecht gemessen werden!
„…das sicherste Zeichen, dass etwas passiert, ist im Falle einer Pandemie ja gerade, dass nichts passiert. Schleichende Erfolge sind immer weniger spektakulär als plötzliche Triumphe. Es gibt keinen kollektiven “Hurra, wir haben es geschafft”-Moment. Für diese Prüfung namens Corona gibt es keine Urkunde und keine Goldmedaille. Keine Instanz wird dem Land jemals bescheinigen können, alles richtig gemacht zu haben.“ – Niemand wird den Bürger*innen bescheinigen können, alles richtig gemacht zu haben: Diese Unsicherheit lässt manche Menschen schnelle Erklärungen und einfache Antworten glauben (Stichwort „Verschwörungs-Mythen“). Grimm schreibt dazu: „Für die politische Kommunikation ist eine ausbleibende Katastrophe fast schwieriger als eine Katastrophe. Ohne sichtbare Schäden fehlen die Argumente.“ Das NICHTS ist weiterhin nicht messbar… „Die Frage, ob Deutschland [mit den Corona-Maßnahmen, Anm. d. Verf.] recht gehabt hat oder einfach Glück, wird wohl unbeantwortet bleiben. Es ist noch so eine Corona-Nebenwirkung, die die Gesellschaft aushalten muss.“
Den vollständigen Artikel findet ihr hier.
Und jetzt: Maske an und Klappe halten, bis ihr bessere Argumente zur Hand habt – oder einfach MIT Maske UND Abstand sprechen: Geht auch! ÜBERRASCHUNG!
In den letzten Tagen habe ich soviel über die Notwendigkeit von Mund-Nase-Schutz diskutiert, wie noch nie in meinem Leben.
Gut: Es ist in meinem Leben auch meine erste Pandemie…aber trotzdem!
Und es gibt unterschiedliche Versionen der Diskussion: Teilweise findet die Diskussion sehr sachlich und auf wissenschaftlicher Grundlage statt, sie ist ein Ringen um eine Verhältnismäßigkeit und eine gute Balance zwischen kollektiver Leistung der Eindämmung eines Virus (gegen den niemand immun ist!) und der Einschränkung individueller Freiheiten…
Fragen in dieser Art von Diskussion sind: Können Menschen den präventiven und verantwortungsvollen Umgang mit den Masken einüben und kontrollieren? Oder patscht sich jede*r im Gesicht rum, schiebt die Maske nochmal mit ungewaschenen Fingern über die Nasenwurzel? Oder schiebt sie sich nach Verlassen eines Supermarkts einfach übers Gesicht und lässt sie von den Ohren oder am Hals baumeln? Und entsteht durch die Masken ein falsches Gefühl von Sicherheit und Infektionsschutz für einen selbst, das dann dazu führt, dass der eigentlich viel wichtigere Abstand zu anderen Personen nicht mehr eingehalten wird? Beeinträchtigt die Maske unsere Wahrnehmung von anderen Menschen? Können wir weniger Rückschluss auf den emotionalen Zustand unseres Gegenübers ziehen? Wird Beziehungsarbeit schwerer? Wird zwischenmenschliche Nähe verhindert?...
Alle diese Fragen machen Sinn. Alle diese Fragen sind berechtigt.
Diese Fragen berechtigen jedoch NICHT dazu, sie für Pseudo-Diskussionen zu missbrauchen, in denen es nämlich nicht um eine Aushandlung von „Masken – sinnvoll oder nicht?“ geht, sondern um einen hinter der Pseudo-Diskussion versteckten passiv-aggressiven Ausdruck von Trotz. À la „Ich will kein so ein blödes Ding im Gesicht haben, menno! Ich halte jetzt so lange die Luft an, bis ich wieder meine vollständigen Privilegien zurück kriege und nicht mehr so eine doofe Maske im Gesicht tragen muss, die mich daran erinnert, dass ich mich um anderer Leute Probleme kümmern muss und nicht ausblenden kann, was grade um mich herum passiert und überhaupt: Meine GANZEN Rechte sind eingeschränkt! Ich kann mich gar nicht mehr frei bewegen!!!1!“
Erkennbar ist eine solche Pseudo-Diskussion sehr häufig daran, dass sie von privilegierten Personen – vornehmlich übrigens von Männern in Leitungspositionen – geführt wird: „Wir können doch nicht auf ewig so tun, als wären alle Menschen potentielle Viren-Herde!“ wird dann gejammert… „Wir müssen auch irgendwann mal wieder zu einer Normalität zurück finden!“… „Also es ist schon eine sehr große Einschränkung dafür, dass gar nicht bewiesen ist, dass die Maske wirklich hilft!“… „Ich kann gar nicht richtig atmen!“… „Ich lasse mir nichts vorschreiben! Die Maske ist ja nur eine EMPFEHLUNG!“...
JA KANN SEIN! ABER DU BIST EIN FUCKING VORBILD IN DEINER POSITION! UND ANDERE SCHAUEN DRAUF, WAS DU MACHST UND ORIENTIEREN SICH AN DIR! UND KANNST DU MAL AUFHÖREN NUR AN DICH ZU DENKEN UND DIE SCHEIß-MASKE EINFACH AUS SOLIDARITÄT MIT DEINEN MITMENSCHEN TRAGEN? WEIL AN EINER MASKE IST NOCH NIEMAND GESTORBEN! ABER AN DEM SCHEIß-VIRUS SCHON!
UND KÖNNTEST DU DICH MAL ÜBER DIE WIRKLICH WICHTIGEN DINGE GENAUSO AUFREGEN UND IN DEN WIDERSTAND GEHEN, WIE DU ES SCHEINBAR BEI DEM BLÖDEN MUND-NASE-SCHUTZ KANNST?
DU KÖNNTEST DEINE ENERGIE MAL WEG VON EINEM FETZEN STOFF VOR DEINEM GESICHT HIN ZU DEN GROßEN GESELLSCHAFTLICHEN FRAGEN LENKEN: WO IST DEINE EMPÖRUNG BEI DEN ÜBERFÜLLTEN FLÜCHTLINGSLAGERN? DEN LOHNUNTERSCHIEDEN ZWISCHEN DEN GESCHLECHTERN? DER SORGEVERANTWORTUNG, DIE IN PANDEMIE-ZEITEN GRÖßTENTEILS BEI FRAUEN* LIEGT? BEI RÜSTUNGSEXPORTEN? BEI GESCHLOSSENEN KITAS, BESUCHS-VERBOT IN ALTEN- UND PFLEGEHEIMEN ABER FUCKING OFFENEN SCHUHGESCHÄFTEN??????
UND INFORMIER DICH GEFÄLLIGST DARÜBER, WAS ES HEIßT, IN DIESER GESELLSCHAFT PRIVILEGIEN ZU HABEN! UND R-E-F-L-E-K-T-I-E-R DEIN BESCHISSENES VERHALTEN!
ACH, DAS IST DIR ZU KOMPLEX? ZU ANSTRENGEND? ZU WEIT WEG? WEITER WEG ALS DIE MASKE VOR DER NASE? TJA…HAB ICH MIR SCHON GEDACHT.
PS: Manchmal wird die Diskussion übrigens auch gar nicht geführt: Dann wird da einfach keine Maske getragen, wo andere eine anziehen sollen. – Auch das geht ohne dass negative Konsequenzen entstehen – unangenehm, ich weiß! – nur in privilegierter Position!
Der Johannisfriedhof in Osnabrück wurde 1805 errichtet, 1995 wurden die letzten Menschen dort bestattet und seit 2015 ist er Parkanlage unter Denkmalschutz. Ich gehe dort gerne spazieren. Ehrenamtliche aus dem Osnabrücker Hospiz pflegen dort ein Gedenk-Labyrinth und es finden regelmäßig Impulse für Trauernde statt. In der Mittagspause lärmen Schulkinder über den Friedhof. Hunde und ihr Anhang gehen dort gerne Gassi. – Kurz gesagt: Der Johannisfriedhof ist für einen ehemaligen „Todtenhof“ ein ziemlich lebendiger Ort.
Bei meinem Streifzug über die Anlage, auf der Suche nach Motiven für diesen Blogbeitrag zur Blogaktion des Totenhemd-Blogs kamen mir Gegensätze vor die Linse: Chaos und Ordnung. Einzelne und kollektive Verantwortung. Individualität und Anonymität.
Ein Friedhof, der sich selbst und der Natur überlassen wird – umgefallene Grabsteine auf privaten und Familiengräbern, unlesbare Inschriften, Moos, vermoderndes Laub, vergessene Gräber, vielleicht gibt es auch keine Angehörigen mehr, die für die Grabpflege sorgen.
Und dann dagegen: Das Gräberfeld der gefallenen Soldaten aus dem ersten Weltkrieg. Kreuze, die in Reih und Glied stehen, anonym aussehend, auf gemähtem Rasen, mit gestutzten Buchshecken davor. Ein wie von Geisterhand gepflegter Gedenkort. Dazwischen eine Birke und eine Krähe. Alles in allem eine seltsame morbide Ästhetik.
"Hast du heute Abend noch was vor?" -
"Äh ja...wie soll ich sagen? Es hat was mit fluoriszierendem Klebeband und dem alten Friedhof zu tun..."
Gespräche, die nicht alltäglich sind.
Aber das passt ja bestens zur Blogaktion des Totenhemd-Blogs, die einmal mehr dazu auffordert, im November Gespräche zu führen über Themen, die im Alltag wenn möglich gerne mal ausgespart werden: nämlich den Tod und das Sterben.
"Werdet dabei kreativ!" lautet in diesem November das Motto.
Ich habe mich dafür mit Sarah zusammengetan: Wenn zwei zusammen Kunst machen, nennt man das dann eigentlich schon ein Künstlerinnen-Kollektiv? - In jedem Fall sind wir beide ein LEBENSkünstlerinnen-Kollektiv...
Sarah und ich haben uns im Ausbildungskurs für ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiter*innen im Hospiz kennengelernt. Ich glaube es war klar, dass wir Freundinnen werden in dem Moment, als wir bei einer Nähe-Distanz-Übung mit geschlossenen Augen aufeinander zulaufen sollten und spüren sollten, wann wir dem anderen nahe genug sind, ohne uns unwohl zu fühlen. Wo andere bereits zusammenstießen und das immer noch gut fanden, standen wir beim Öffnen der Augen ziemlich weit auseinander und haben uns wissend und erleichtert angeguckt: Nähe geht auch ohne, dass man mit anderen zusammenprallt! :-)
"Lass mal was draußen machen! Kunst im öffentlichen Raum!" war die erste Idee, die wir beide gut fanden, als wir uns zum Planungs-Frühstück Anfang der Woche trafen. "Aber was wenn´s regnet?", "Es wird so schnell dunkel!", "Fluoriszierendes Klebeband ja - aber klebt das auch? Und leuchtet das wirklich?", "Wenn wir auf den alten Friedhof im Dunkeln gehen und ein Hund kommt, schrei ich los!" und "Darf man das eigentlich?"
Wir waren ein sehr besorgtes Künstlerinnen-Kollektiv.
Und irgendwann ist uns aufgefallen: Was für Sarah und mich der nächtliche Gang auf den Friedhof ist, ist für andere vielleicht das Sprechen übers Sterben: es braucht Mut und es braucht vor allem ein "Einfach mal machen"!
Die Erfahrung zeigt: wenn man erstmal damit angefangen hat, kann man auch gar nicht mehr aufhören... :-)
We did a StichUp for the BadassHERstory project and now you can read an interview with me in which I answer Shannon's questions (she is the amazing inventor of the project and biggest badass of
us all ❤).
Here's the link to the ambassador feature.
Für das BadassHERstory Projekt (ein Projekt, das auf das Erzählen von Frauen-Geschichten abzielt und die Umsetzung der Geschichten in Handarbeiten) haben wir uns im Juli getroffen, um gemeinsam bei einem Bier zu nähen, sticken und zu malen. - Und zu erzählen.
Jetzt hat die Initiatorin mit mir ein Interview darüber geführt. Das Feature gibt es hier bei diesem Link.
Die Künstlerin Briar Bates bekam im November 2016 die Diagnose Lungenkrebs und starb am 28. Juni diesen Jahres. Sie hat in der Zeit zwischen Diagnose und Tod ein Ritual für Freund*innen und Familie entwickelt und mit diesen zusammen entworfen und einstudiert. Das entstandene Wasserballet "Ankle deep" (knöcheltief) haben die Menschen um sie herum dann nach ihrem Tod aufgeführt. Entstanden ist eine herrlich absurde, verspielte und sehr schöne Performance. Ich finde, Briar Bates hat zu Lebzeiten und nach ihrem Tod gezeigt, dass Trauer und Sterben...
1. in Gemeinschaft und miteinander getragen werden können,
2. ganz viel Kreativität und Wahnwitz entstehen lassen und
3. Weinen und Lachen nahe beieinander liegen, sich abwechseln, das andere auslösen und teilweise auch gleichzeitig passieren können!
Schaut selbst:
Ich war neulich im Büro einer Kollegin. In ihrem Büro füllt eine große Pinnwand die Hälfte der einen Raumseite fast komplett aus. Und die ganze Pinnwand ist leer, bis auf ein einziges Wort: Affidamento!
Ich weiß nicht, ob sie es als Mahnung, als Erinnerungsstütze oder als Apell dort stehen hat, aber es hat mich dazu gebracht, nocheinmal verstärkt über das "Affidamento" nachzudenken.
"Affidamento" ist der italienische Leitgedanke einer feminstischen Theorie, die in den 1970-80er Jahren im Umfeld der Denker*innen des Mailänder Buchlandens entstanden ist und den intalienischen Feminismus stark geprägt hat.
Affidamento ist schwer ins Deutsche zu übersetzen und es ist auf einem ganzen Theoriegerüst begründet, das ebenso schwierig ist in ein paar wenige Sätze zu verpacken. Schlussendlich ist Affidamento zum einen Kritik an patriarchalen Strukturen und damit einhergehend auch Kapitalismuskritik: Es wird davon ausgegangen, dass die Freiheit von Frauen* dadurch erreicht werden kann, wenn nicht in den "männlichen Denkweisen" gedacht wird und kein "männliches Verhalten" angestrebt wird, um strukturelle Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu erreichen. Ein neues "weibliches Denken" führt zur Freiheit für und von Frauen*.
Es ist keine Haltung "gegen Männer*", sondern einfach eine Haltung "für Frauen*": Frauen* sollen sich gegenseitig achten und unterstützen, egal was das Begehren einer einzelnen Frau* ist. Wenn Frauen* es schaffen, ihre Anliegen und Begehren frei äußern zu können und sich anderen Frauen* anvertrauen, die aufgrund ihrer Ressourcen und aus Respekt unterstützen und vermitteln können (ohne Konkurrenzdenken oder aus Mitleid), dann entsteht weibliche Freiheit.
Die Störenfriedas beschreiben das so: Frauen* "sind unterschiedlich, wir haben unterschiedliche Stärken und kommen aus unterschiedlichen Hintergründen. Genau das ist eine Stärke. Wenn wir diese erfolgreich einbringen wollen, müssen wir uns gegenseitig vertrauensvoll unterstützen. Es muss Raum geben für das Persönliche ohne dass es zur Bedrohung für die anderen wird. Wir müssen ein Netz weben, das stark genug ist, der Differenz untereinander darin Platz zu geben und das dadurch an Qualität und Quantität gewinnt."
Was heißt das für mich? - Das ist tatsächlich etwas, dass ich momentan im Alltag ausprobiere: In kleinen, tastenden Schritten und mit geschärfter Wahrnehmung: Wie gehe ich mit anderen Frauen* um? Was sind meine Gedanken über andere Frauen*? Kenne ich "Affidamento-Beziehungen"? Was macht es mit mir, wenn "Affidamento-Beziehungen" entstehen? Wie kann ich solche Beziehungen in meinem Umfeld fördern? Wie kann ich selbst es schaffen, mich anderen Frauen mit meinen Anliegen anzuvertrauen? Welche Mechanismen und sozialisatorisch geprägten Denkweisen verhindern bei mir, dass "Affidamento-Beziehungen" entstehen können?...
Naaaaa?! Was machst du denn als Gleichstellungsbeauftragte am 08. März? Da ist Weltfrauentag! Nä! Weißte schon, oder?!!!
Ja. Weiß ich… (Pause)…Ich werd da streiken…
Ah. Hmhm...(Lächeln und Nicken à la "Hab ich´s doch geahnt!")
Ja. Ich werd da streiken: Morgens erst gemütlich mit einer Kollegin brunchen und dann geht´s zur Frauentags Demo mit dem Zug.
Ich bin nie zuvor auf ner Demo gewesen...Ich arbeite total gerne und lege die Arbeit daher eigentlich gar nicht so gerne nieder...Ich mag keine Menschenaufläufe...Ich bin eher für Kaffee trinken und dabei diskutieren...In meiner Freizeit sitze ich gerne auf dem Sofa...Ich schreibe lieber anstatt zu schreien...Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch und gehe im privaten Umfeld Konflikten lieber aus dem Weg...
Die Tage davor und danach werden ganz schön vollgepackt sein, wenn ich mir den 08. März zum Streiken freischaufeln möchte: Lustige 10 Stunden-Tage für den „Luxus“ streiken zu können...Was schreib ich denn an dem Tag in meine E-Mail-Abwesenheitsnotiz? „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin morgen wieder für Sie erreichbar – ich streike heute“?! Eigentlich baue ich ja streng genommen an dem Tag „nur“ Überstunden ab…
Brauch ich ein Protestplakat? Geht das auch in DIN A 4 damit ich das in der Handtasche verstecken kann bis zur Demo?...Und dann die Sprüche aus dem Umfeld: „Na, du hast es gut! Du kannst streiken gehen! Ich hab Termine bis abends und muss davor noch zum Zahnarzt und nach der Arbeit ist noch Elternabend“ – Streiken als Privileg: Was soll man dazu sagen?!...
Strike for beginners: Streiken für Anfängerinnen - für Leute wie mich, die irgendwann einen Anfang gefunden haben, aber seither kein Ende mehr finden können:
Ich gucke mich um und gucke nochmal kurz die Tagesschau, lese schnell noch Berichte zum Gender Pay Gap und zu Gewalt gegen Frauen*, höre noch einmal die Aussage dass Feminismus veraltet ist, lass mir noch einmal hinterherpfeifen und das was ich eben gesagt habe nochmal in den selben Worten von einem Mann erklären, sehe schon wieder Donald Trump in den Nachrichten, lese ein Plakat der AfD, kriege ein sexistisches Video aufs Handy geschickt, werde noch kurz für meine Gleichstellungsarbeit belächelt, kriege nochmal gesagt dass Männer lackierte Nägel und kurze Haare echt nicht sexy finden und dass meine biologische Uhr tickt und ich auch dünn geworden bin…
...Und da rührt sich was in mir: ich schüttle meine Zweifel ab, fasse mir ein Herz und denk mir: Streiken und demonstrieren – Wenn nicht jetzt. Wann dann?
Und dann summe ich leise: Wenn nicht jetzt. Wann dann? Wenn nicht hier. Sag mir wo und wann? Wenn nicht du. Wer sonst?...und ich kann das auch grölen: WENN NICHT JETZT. WANN DANN? Ha! Und auf ein großes Protestplakat schreiben! Also echt! Und zur Feier des Tages lackier ich mir noch schnell die Fingernägel in Solidaritäts-Rot. Bäm!
Der Anfang ist gemacht.
Randbemerkung: Wer hätte gedacht, dass de Höhner mir einmal aus der Seele sprechen werden (die sind als feministische Gesangsgruppe bis jetzt noch unentdeckt, aber das kann ja noch werden?!)?
In diesem Sinne: Bis zum 08. März! Lasst uns treffen! Auf der Straße. Und im Geiste. Und noch besser: Auch im Herzen!
Ich habe letztes Wochenende eine Schreibwerkstatt besucht. Da hat sich eine Gruppe von Menschen getroffen, um gemeinsam ins (kreative) Schreiben zu kommen und ein bisschen mit Wörtern zu jonglieren.
Ein Gespräch mit einem 73-jährigen Teilnehmer (wir hatten gerade Einstiegsübungen gemacht - 2 Minuten so langsam wie möglich schreiben und 2 Minuten so schnell wie möglich): Er: "Was ist die Mitte zwischen dem Schreiben in Schnelligkeit und Langsamkeit?" - Ich: "Mittelmäßigkeit."
Und damit war eigentlich die Marschrichtung vorgegeben und die Lust am Schreiben geweckt: Der Mittelweg, den kann ich nehmen. "Mittelmäßig" macht keinen Druck und schaltet den Perfektionismus aus. Und so ist auch folgender Text (eine fiktive Rede an ein fiktives Publikum) entstanden - mit dem Ziel mindestens "mittelmäßig" zu sein:
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, alle die Sie hier versammelt sind!
Neulich habe ich in der Zeitung folgenden Comic gefunden:
Und ich habe mich folgendes gefragt:
1. Hätte ich doch Friseurin werden sollen?
2. Wie wichtig ist mir eigentlich in einer Diskussion das letzte Wort?
Das letzte Wort hat Macht.
Und Macht ist etwas über das ich in letzter Zeit auch oft ins Nachdenken komme:
Macht und Ohnmacht.
Die Medien sind voll von Bildern und Meldungen, die mich ohnmächtig und hilflos und sehr sehr klein zurücklassen:
Menschen werden fundamentale Rechte abgesprochen.
Sie werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Ethnie, Kultur, sexuellen Orientierung, ihres Alters und ihrer Religion diskriminiert und abgewertet.
Und das überall auf der Welt!
Und neben mir im Zug nach Köln!
Und im Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten!
Und im Restaurant beim Brunch.
Und natürlich in den Sozialen Netzwerken.
Das macht mich stumm vor Entsetzen.
Da fehlen mir die Worte, bei diesem Mangel an Empathie, der Wut und der Grausamkeit, die da zu hören und zu lesen sind.
Ich will etwas tun, und weiß doch gar nicht, wo ich anfangen soll.
"Jetzt können wir am eigenen Leib erfahren, wie es unseren Groß- und Urgroßeltern zu Beginn des Dritten Reiches ging", hat mir eine Kollgin im Gespräch über unsere Ängste gesagt. Und sie hat gesagt: "Ich würde auf jedenfall jemanden auf meinem Dachboden verstecken." - Ich hätte nie gedacht, dass dieser Satz je wieder in einem Gespräch über die politische Lage fallen könnte...und er klingt mir auch immer noch sehr fremd.
Und trotzdem macht sich eine Ahnung breit: Weiß ich denn, wieviele Menschen sich momentan auf irgendwelchen Dachböden verstecken müssen???...
Klar, das ist eine Abkehr von meiner Vorstellung von Realität und Normalität...
Aber ist es nicht genau das, was AfD, Trump in Amerika und alle rechtsextremen Parteien in Europa momentan machen?
Sie verletzen - nein trampeln - die Grenzen unserer Normalität nieder.
Die Soziologin Eva Illouz hat sich mit den Provokationen der letzten Zeit auseinandergesetzt und auch mit den Protesthandlungen dagegen.
Sie sagt: Protest gegen Tabubrüche von Rechts darf nicht stumm sein.
Sie wirft aber auch die Frage auf, ob neue Protestformen gefunden werden müssen, gegen diese neue Form von antidemokratischen Strömungen.
Macht - da ist das Wort wieder:
Wie können Machtverhältnisse in Balance gebracht werden, Machtverhältnisse, die vollkommen aus dem Ruder scheinen und zur Seite der hassenden pöbelnden Massen kippen?
Wer wird das letzte Wort haben?
Und was wird das letzte Wort sein?
Ein "Schießt!"? Ein "Amen" oder "Inshallah" oder "So sei es"? Ein gegenseitiges Zunicken? Ein "Daumen hoch"? Ein "Over and Out"?
Ich möchte meine Kraft in der kommenden Zeit dazu nutzen, Schritt für Schritt aus meiner Starre und Ohnmacht herauszutreten, oder notfalls herauszutanzen!
Und dann: neue, unmögliche, irritierende, komische, anstrengende, kreative, leise, hoffnungsvolle, holprige, laute, ungeplante und geplante Wege finden gegen das hässliche Gebrüll.
Und mein letztes Wort sei ein DANKE.
Christina und ich haben beschlossen, in unserer Werkstatt Buchbesprechungen "abzuhalten": Christina hat einen großen Fundus an feministischer Literatur (aus dem ich mich auch schon mehrfach bedient habe) und auch bei mir ist der Stapel mit Büchern zu feministischen Themen und zum Thema Chancengleichheit und Antidiskriminierung in letzter Zeit stetig gewachsen...Grund genug, hier ein paar Bücher (und unsere Gedanken dazu) aufzulisten. Christina macht mit folgendem Beitrag den Anfang:
2016 ist Geschichte und für eine Vielzahl an Medien, Informationsdiensten und Privatpersonen konnte es zuletzt gar nicht schnell genug vorbeigehen. Zugegebenermaßen haben im vergangenen Jahr einige Ereignisse stattgefunden, die auch ich am liebsten vergessen bzw. noch lieber ungeschehen machen würde, wenn ich könnte. Allerdings sträube ich mich dennoch gegen einen solchen Abgesang und die überfrachteten Erwartungen an 2017, ganz nach dem Motto „wenn ich nur fest dran glaube, dann wird schon alles besser!“. Das ist mir persönlich zu naiv, fatalistisch und zu unwahrscheinlich. Viel lieber wäre mir eine konstruktive Auseinandersetzung damit, was denn konkret besser werden soll und muss und vor allem wie das tatsächlich praktisch aussehen könnte!
Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf fünf wunderbare Bücher mit unterschiedlichen feministischen Themen aufmerksam machen, die 2016 für mich bereichert haben und die sich hervorragend für eine konstruktive Auseinandersetzung gesellschaftlicher wie politischer Belange in 2017 eignen:
1) Julia Korbik – Stand up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene
Wunderschön gestaltet eignet sich Korbiks gut 400 Seiten umfassendes Werk ausgezeichnet für einen Einblick in die theoretischen Grundlagen des Feminismusbegriffs, seiner Entwicklung sowie der Historie unterschiedlicher Strömungen in diesem Zusammenhang. Neben der Vorstellung diverser Vertreter_innen werden aktuell politische Themen aufgegriffen, Aspekte feministischer Popkultur berücksichtigt und Hindernisse ausstehender Gleichberechtigungsrealisierung thematisiert. Das Buch informiert überblicksartig und umfassend bei leichter Verständlichkeit. Ebenso liefert es etliche Querverweise zu weiterführenden Informationen aller Art, die im Rahmen von Feminismen von Relevanz sind.
Subjektive Favoriten: „Zwölf fabelhafte feministische Ideen“ (S. 393-399), Glossar (ab S. 402)
Fazit: Absolut empfehlenswert für einen thematischen Einstieg sowie leicht verständlichen Überblick. Die Gestaltung ist ein zusätzlicher Hammer.
2) Sarah Diehl - Die Uhr, die nicht tickt
Anders als Korbik beschäftigt sich Diehl in ihrem Buch mit einem Thema, das nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Es geht um den vermeintlich „natürlichen“ Wunsch von Mutterschaft jeder Frau - und dem gesellschaftlichen Druck, wenn eine Frau aus freien Stücken keine Kinder bekommen möchte. Diehl beleuchtet dabei umfassend und sorgfältig sowohl die historischen Komponenten als auch die aktuelle Instrumentalisierung eines vermeintlich angeborenen Mutterinstinkts und dem damit einhergehenden Konformitätsdruck. Die Inhalte basieren dabei z.T. auf Interviews, Diehl bettet diese in politische und gesellschaftliche Diskurse ein. Das Buch bietet dabei eine Fülle an vertiefenden Informationen sowie Zusammenhängen struktureller Normierung in der deutschen Gesellschaft. Darüber hinaus ist es Diehl ein Anliegen, durch ihre Arbeit Akzeptanz gegenüber alternativen Familienformen und Lebensentwürfen zu fördern.
Subjektive Lieblingssätze: „Je länger ich mich mit diesem Thema beschäftigte, umso mehr Fragen kamen mir in den Sinn. Und umso verärgerter war ich darüber, wie verunsichert Frauen zwischen dreißig und vierzig sind, denen permanent eingetrichtert wird, dass ohne eigene Kinder etwas Wesentliches in ihrem Leben fehlt.“ (S. 15)
„Bei dem Absolutheitsanspruch, der mit Mutterschaft nach wie vor verbunden ist, gelingt es Frauen kaum, eine wirklich freie Wahl zu treffen, Konventionen zu hinterfragen und Freiräume für sich überhaupt erst zu verhandeln.“ (S. 136)
Fazit: Sehr lesenswert, da Diehl a) eine sehr gute und verständliche Analyse der komplexen Problematik liefert, die die Zwickmühle vieler Frauen zwischen beruflicher Karriere und Mutterschaft und vor allem den damit verbundenen z.T. entgegengesetzten überhöhten strukturellen sowie interindividuellen Erwartungen offenlegt, b) eine hervorragende Diskussionsgrundlage und Gegenargumente zum Thema liefert und c) darüber hinaus auch noch Anstoß und Mut zur Veränderung und Weiterentwicklung gibt.
3) Laura Bates – Everyday Sexism
Das Buch ist im Rahmen des „Everyday Sexism Project“ entstanden, das die Aktivistin und Autorin Laura Bates 2012 ins Leben gerufen hat. Das Projekt sammelt sexistische Alltagserfahrungen via Social Media, diese werden im Buch beispielhaft gemeinsam mit zugehörigen Statistiken in insgesamt 12 Kapiteln dargestellt, um so die gesellschaftliche Tragweite von Sexismus und dessen Mechanismen zu verdeutlichen. Bates geht es mit dem Buch darum, das Alltägliche sexistischer Diskriminierung sowie seine unterschiedlichen Formen und Stärken herauszustellen und darüber hinaus offenzulegen, welche Auswirkungen damit einhergehen. Das Projekt hat eine riesige Resonanz hervorgerufen, die die Alltäglichkeit von Sexismus unterstreicht und durch die unendlich vielen Beispiele so eindringlich ist, dass dies subjektiv beim Lesen z.T. nur schwer zu ertragen war. Aber gerade das sollte kein Grund gegen, sondern gerade für die Lektüre sein – zur Verdeutlichung, dass Sexismus nach wie vor fester Bestandteil von Politik, Medien, Arbeitsumfeld, Elternschaft, öffentlichen Räumen und und und ist!
Eingängige sexistische Beispiele: „At school, a teacher said it was good that ´masculine´girls like me wanted to go into politics because most women were only there because men let them, to ´shut up the feminists for a bit´.“ (S. 51)
„Age 18: After going out with a close long term friend to a party, I stayed over at his. I slept on the floor and crashed out with exhaustion. I woke up with his fingers inside of me. I had no idea how to react. So I waited it out.“ (S. 113)
„Was just told to ´cheer up´ by two men. When I didn´t, they yelled ´slag´and ´dirty little cunt´. This didn´t cheer me up.“ (S. 177)
Fazit: Bates bietet in ihrem Buch einen umfassenden Überblick über die Alltäglichkeit von Sexismus und welche Auswirkungen dieser auf Gedanken, Emotionen und Verhalten sowie normative Rollenzuweisung hat. Durch die unendlich vielen Beispiele und die dazugehörigen statistischen Daten sowie Bates Ausführungen wird auf schockierende Weise deutlich, dass es sich für einen Großteil der Menschen eben nicht um einen gelegentlichen Scherz, sondern um ein alltägliches Problem handelt, das sich in unterschiedlicher Form und Stärke zeigt und bis hin zu aktuer Lebensgefahr reichen kann. Eben deshalb sind das Buch sowie das Projekt wahnsinnig wichtig. Das Lesen des Buchs verärgert, schockiert und ist z.T. schwer zu ertragen und zwingt genau deshalb zu einer Auseinandersetzung mit der Problematik. Absolut empfehlenswert!
4) Sabine Hark & Paula-Irene Villa (Hrsg.) – Anti-Genderismus
Die Professorinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa haben einen Sammelband herausgegeben, der sich sozial- und kulturwissenschaftlich mit der Problematik Anti-Genderismus („...´Anti´-Haltung, eine Abwehr gegen Gender beziehungsweise gegen das, was diesem Begriff unterstellt wird“, Hark & Villa, 2015 S. 7) und damit verbundenen Wechselwirkungen sowie Zusammenhängen analytisch auseinandersetzt. Dabei werden wissenschaftlich umfassend aktuelle gesellschaftliche wie politische Entwicklungen betrachtet und analysiert, wie etwa der Widerstand gegenüber dem Gender-Begriff, -Inhalten und europäischer Gleichstellungspolitik von rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen sowie kirchlichen Strömungen. Der Sammelband basiert dabei auf Vorträgen und Diskussionen, die im Rahmen des Soziologiekongresses 2014 der Deutschen Gesellschaft für Soziologie stattfanden und bietet einen wissenschaftlich fundierten Überblick zur Thematik sowie eine mehrdimensionale Analyse damit einhergehender Phänomene und Zusammenhänge in Form von insgesamt 14 Beiträgen.
Subjektive Lieblingssätze: „In forschender Absicht hinterfragt der Gender-Begriff das Apriori einer gegebenen, unveränderlichen und naturhaften Essenz der Geschlechterdifferenz.“ (Hark & Villa, 2015 S. 8)
"Im antifeministischen Diskurs um „Gender“ in der extremen Rechten werden Vorstellungen einer „natürlichen“ Geschlechterordnung artikuliert. Zugleich haben Teile der extremen Rechten hierin ein Thema ausgemacht, von dem sie sich Anschluss an gesamtgesellschaftliche Diskurse um die Bedeutung geschlechterpolitischer Begriffe und Kategorien erhoffen.“ (Lang, 2015 S. 176)
Subjektive Lieblingskapitel: „Familie und Vaterland in der Krise“ von Juliane Lang; „Paradoxien konservativen Protests“ von Jasmin Siri; „Anti-Genderismus im Internet“ von Kathrin Ganz und Anna-Katharina Meßmer
Fazit: Das wohl wissenschaftlichste Buch zur Thematik, das ich 2016 gelesen habe. Ebenfalls sehr zu empfehlen, da es für einige Aha-Momente bzgl. der Zusammenhänge konservativer Proteste, kirchlicher Widerstände und Forderungen bis hin zu Diffamierungen durch rechtspopulistischen Gruppierungen sorgt. Die Autor_innen liefern themenspezifisch sehr gelungene Analysen, die wichtige Argumente zugunsten vermehrter Vielfalt, Gleichstellung und Gerechtigkeit liefern und somit die Auseinandersetzung mit den Gruppen, die ebenjenes zu verhindern suchen, stärken. Insgesamt eignet sich die Lektüre meiner Meinung nach vor allem für all diejenigen Interessierten, die sich bereits mit der Thematik beschäftigt haben und Lust auf im sozial- und kulturwissenschaftlichen Duktus geschriebene Texte haben.
5) Eike Sanders, Ulli Jentsch & Felix Hansen – „Deutschland treibt sich ab“
Sanders, Jentsch und Hansen greifen ebenso wie Diehl eine spezifische, feministisch überaus relevante Thematik auf und schließen dabei eine bisherige Lücke. Inhaltlich beschäftigt sich das Buch mit der Abtreibungsgegner_innenschaft, die sich selbst als (organisierter) „Lebensschutz“ bezeichnet und antifeministische, christlich-fundamentale und (ultra-)konservative Positionen vereinigt. Die Autoren liefern mit ihrer dezidiert zusammengestellten Recherche einen bisher fehlenden, wichtigen Überblick aktueller Entwicklungen über die Inhalte, Ziele und Gruppierungen der sogenannten „Lebensschützer_innen“. Dabei werden Verbindungen und Überschneidungen einzelner Akteur_innen mit politischen Parteien und Gruppierungen sowie weiteren Verbänden deutlich. Es wird sehr anschaulich herausgearbeitet, dass es nahezu allen Organisationen mitnichten um Selbstbestimmung und Schutz individuellen Lebens, sondern vielmehr um antidemokratische Inhalte, tradierte Rollenbilder und Verhinderung von Gleichstellung geht.
Subjektive Lieblingssätze: „Es geht den ´Lebensschützern´ mehrheitlich nicht um ein besseres Leben für die ´Schwächsten´ und Ausgestoßenen, sondern um die Restrauration traditioneller Geschlechterverhältnisse – mit repressiven Mitteln. Männer machen Politik mit den Körpern von Frauen.“ (S. 93)
„Die Bewegung ist heterogen. Sowohl AkteurInnen als auch ihr Auftreten nach außen changieren einerseits zwischen sich seriös und weltlich gebenden professionellen LobbyistInnen und andererseits bibelfesten FundamentalistInnen, von denen man denkt, sie seien direkt dem Mittelalter entsprungen.“ (S. 94)
Fazit: Ebenfalls sehr zu empfehlendes Buch, wenn man sich dezidiert mit der Thematik auseinandersetzen möchte. Ähnlich wie die Lektüre von Bates sorgten die vielen Beispiele innerhalb der Lektüre für emotionale Reaktionen meinerseits in Form von Ungläubigkeit bis hin zu Wut. Ebenso führte es an mehreren Stellen zu subjektiv empfundenen Erkenntniszugewinn, da die Darstellung der Autoren zentrale Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und ihren Zielen und Strategien offensichtlich werden lässt. Aus diesen Gründen liefert das Buch ebenfalls wichtige und gute Argumente für entsprechende Diskussionen.
Vorbemerkung: Immer wieder fühle ich mich hilflos den kursierenden (rechts-)populistischen Parolen und menschenverachtenden Meinungen ausgesetzt. Die werden scheinbar überall "salonfähig" - oder wenn nicht salonfähig, dann trotzdem häufig verharmlost.
Immer wieder denke ich: eigentlich müsste man da viel mehr dagegen angehen, aufklären, gegenreden, nicht so stehen lassen...sich da mehr zutrauen und ja, auch zumuten.
Und ich habe eine Freundin - Christina - die macht das einfach: die hat sich was zugemutet (sie hat nämlich eine Veranstaltung mit Birgit Kelle bei der CDU Bremen besucht) und die wollte das nicht so stehen lassen. Und sie hat ihre stärksten Waffen gezückt: Klugheit, Worte und Herz.
Sie brüllt nicht dagegen an, sie beschimpft nicht und sie verliert nie den Respekt vor ihrem Gegenüber: Sie analysiert das Erlebte, recherchiert, verknüpft es mit ihrem Wissen und sie findet messerscharfe Worte, um ihren Standpunkt klar zu machen. Ich bin arg stolz und froh, dass ich ihren Artikel hier als Gastbeitrag zeigen darf.
Der ursprüngliche Artikel ist bei EDITION F erschienen.
Birgit Kelle ist die Publizistin, die mit dem Satz „Dann mach doch die Bluse zu“ Frauen Schuld daran gab, wenn sie sexuell belästigt werden. Sie will den „Genderwahn“ in Deutschland beenden und spricht daher regelmäßig auf Veranstaltungen. Stimmen die Aussagen, die so dort verbreitet? Ein Besuch.
Birgit Kelle in Bremen
Ich sitze seit fünfzehn Minuten still grinsend im Veranstaltungsraum in einem historischen Teil meiner Stadt und schaue mir den Protest von etwa zwei Dutzend Personen in den Zwanzigern an. Ich befinde mich auf einer Diskussionsveranstaltung mit Birgit Kelle, zu der die CDU Bremen eingeladen hat. Während die Protestierenden Flugblätter, Konfetti und Gesänge im Raum verteilen, versuchen sich die Parteimitglieder betont lässig zu geben. Das gilt allerdings nicht für die Mehrheit des Publikums.
Wie es dazu kam
Eine Woche zuvor stehe ich in der Zentralbibliothek und suche vergeblich nach dem Buch „Gendergaga“ von Birgit Kelle. Es steht nicht an seinem Platz. Zwischen genervt und ratlos frage ich einen Bibliothekar um Hilfe. Dieser erbarmt sich und findet schließlich das Buch auf dem letzten Stapel zurückgegebener Bücher. Ein Glück, denn ich möchte dieses Buch unter keinen Umständen kaufen, jedoch für eine Diskussion über die mehr als fragwürdigen Inhalte möglichst optimal vorbereitet sein.
Der Post einer Bekannten machte mich auf Facebook auf die Veranstaltung aufmerksam. Zunächst halte ich das für einen schlechten Scherz und klicke mich ungläubig durch die Veranstaltungsbeschreibung. Diese Beschreibung ist stark populistisch, Begriffe wie „Genderideologie“ und „Gender-Verrücktheit“ werden ohne weitere Erläuterung wie selbstverständlich genutzt, immer wieder wird suggeriert, dass Gender und Geschlechtergerechtigkeit keinerlei Zustimmung in der Gesellschaft erfahren und deshalb hinsichtlich ihres Sinnes zu diskutieren seien. Dabei inszeniert die CDU das Ganze als fröhliche Diskussionsrunde.
Beginn und Abwertung
Nach fünfzehn Minuten durchgehendem Protest haben nahezu alle Aktivist_innen den Raum verlassen, die meisten nicht wirklich freiwillig. Ein Gast wird dabei sogar handgreiflich und versucht, eine Aktivistin am Arm aus dem Saal zu zerren, was von vielen Seiten zum Glück direkt unterbunden wird. Die Protestierenden werden die gesamte Veranstaltung lang nicht damit aufhören, vor der Tür und in unmittelbarer Nähe der Räumlichkeiten bis über das Ende hinaus weiter „My Body, my Choice“ und ähnliche Gesänge zu singen. Birgit Kelle beginnt mit ihrem zwanzigminütigem Monolog zu angeblichen naturgegebenen Unterschieden von Geschlecht, nicht ohne sowohl die protestierenden Personen als auch sämtliche Sozial- und Geisteswissenschaften abzuwerten. Das Publikum unterstützt sie dabei mehrheitlich. Die verkürzten, vielfach schlichtweg falschen beziehungsweise ignorierenden Darstellungen aktueller Forschungserkenntnisse unter anderem aus Soziologie und Gender Studies und damit verbundener Gegenüberstellung vermeintlicher naturwissenschaftlicher „Beweise“, die die angeblich eindeutig natürliche und damit schicksalhafte Differenz zwischen Frau und Mann untermauern sollen (O-Ton: „Die richtigen Wissenschaften, also die Naturwissenschaften, beweisen ganz klar die angeborenen Unterschiede!“), werden von vielen Personen im Publikum ebenfalls und dankend angenommen. So wird das Prinzip von Falsifikation und Verifikation einfach missachtet, ebenso wird gesamten Disziplinen ihre Daseinsberechtigung abgesprochen.
Die Vorbereitungen laufen ...
In der Woche vor der Veranstaltung nutze ich meine gesamte berufsbedingte Zeit im Zug, um mich auf die Veranstaltung vorzubereiten. Neben mehreren Broschüren unter anderem von der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Gleichstellungspolitik und des „Evangelischen Zentrums Frauen und Männer“ zu Geschlechtergerechtigkeit sowie dem Herausgeberinnenband von Sabine Hark und Paula-Irene Villa zu Anti-Genderismus versuche ich mich ebenfalls mit dem ausgeliehenen Buch von Birgit Kelle zu beschäftigen. Nach dem Vorwort bin ich bereits so wütend, dass ich es weglegen muss. Es finden sich keinerlei Erklärungen zu den dort angeprangerten Begrifflichkeiten wie Gender oder Gender Mainstreaming, aber eine pauschale Absprache der Reputation sämtlicher Gesellschafts- und Sozialwissenschaftler_innen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Ebenso wird von Indoktrinierung und Erziehungszwang zu Geschlechtergerechtigkeit geschrieben, die angeblich antidemokratisch einfach so durch die Bundesregierung geschieht. Zudem findet sich ein Potpourri des Grauens an munter durcheinander gewürfelten Begriffen, die ihrer eigentlichen Bedeutung entfremdet genutzt werden, etwa bei der Gleichsetzung der Begrifflichkeit sexueller Vielfalt mit der Frühsexualisierung von Kindern oder der Annektierung des Feminismusbegriffs durch Birgit Kelle. Die Argumentation ähnelt dabei fortlaufend rechtspopulistischer Parteien und denen „besorgter Bürger_innen“.
Vortrag und vermeintliches Gespräch
Nach einer subjektiv empfundenen Ewigkeit endet der sehr einseitige Vortrag und soll in ein Gespräch mit dem CDU-Abgebordneten der Bürgerschaft, der zu dieser Runde eingeladen hat, überführen. Jedoch mündet auch dies in relativ langen Erzählzeiten von Birgit Kelle unter anderem zur Quote („Die Quote empfinde ich als persönliche Beleidigung!“) und zum Gender-Pay-Gap („Der Gender-Pay-Gap beträgt bereinigt nur 2-4 Prozent“). Dabei werden ebenfalls die Natürlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit ebenso wie die vermeintlich naturgegebenen Unterschiede zwischen Frau und Mann hervorgehoben – mal, indem eine geschlechtsbedingte unterschiedliche Bezahlung auf das schlechtere Verhandlungsgeschick von Frauen per se und somit als individuelle Problematik verklärt wird, mal dass die Frauenquote pauschal zur Abwertung von der Leistung von Frauen führe und diese sowieso überflüssig sei, da Frauen, die in die Führungsetagen möchten, dies auch einfach angehen würden. Fazit bleibt hier, dass Frauen eigentlich gar nicht in Führungsetagen möchten, da es nicht ihrem Wesen entspräche, aber bestimmte gesellschaftliche Gruppen dies einfach nicht wahrhaben wollten. Bis zu diesem Zeitpunkt steht eine Gelegenheit für Rückfragen gänzlich aus, eine aktive Einbindung des Publikums lässt die Veranstaltung ebenfalls vermissen. Da ist bereits über eine Stunde mit stereotypen Aussagen und zum Teil schlichtweg falschen Behauptungen rum.
Die sehr begrenzte Einbindung des Plenums
Last but not least wird nach dem Gespräch die Möglichkeit für Wortmeldungen eingeräumt. Aber auch hier wird ebenfalls kein Gespräch auf Augenhöhe zugelassen, da Fragezeiten mit fortschreitender Zeit zunehmend minimiert werden und ebenfalls in einem Monolog von Birgit Kelle münden, in dem sie auch auf kritische Fragen und Anmerkungen nur mit Wiederholungen und bereits zuvor vorgetragenen Behauptungen antwortet und jegliche Möglichkeit von Diskussion oder gar Dialog unterbindet. Folglich bleiben entsprechende problematische und falsche Inhalte häufig unkommentiert im Raum stehen. Ebenso kommt es immer wieder zu Wortmeldungen, die etwa durch subjektive Erzählungen über Dritte zur angeblichen Einführung pädagogischer Bücher in Kindergärten mit pornografischen Inhalten durch die Landesregierung in Hessen „glänzen“ und sich über gendersensible Sprache empören.
Auch ich melde mich und komme sogar zu Wort, ebenso wie weitere Personen, die auf konkrete Fehler, Falschaussagen und abwertende Verhaltensweisen verweisen. Auch hier erfolgt keine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Publikumsbeiträge, sondern eine Pauschalierung der Kritik und die redundante Behauptung natürlicher Geschlechterunterschiede. Nach etwa zehn Wortmeldungen wird die Veranstaltung etwa zwanzig Minuten vor ihrem offiziell angesetzten Ende beendet. Nicht jedoch ohne mich mit einer gehörigen Portion Befürchtungen zurückzulassen. Denn Birgit Kelle wurde zum Beispiel nach ihrem Bewusstsein über die Wirkung ihrer Argumentation und der damit verbundenen Verantwortung für den Zulauf zu rechtpopulistischen Parteien, wie der AfD gefragt. Sie antwortet darauf sinngemäß, dass sie es schlau fände, wie die AfD das Potenzial des Themas erkannt habe, aber die Leute ja gar nicht zur AfD müssten, sondern unter anderem durch ihre Arbeit auch bei der CDU eine solche adäquate Auseinandersetzung und Diskussion mit der Genderthematik bekämen.
Subjektives Resümee
Ich gehe mit gemischten Gefühlen aus der Veranstaltung. Zum einen hat sich der imaginäre „Worst Case“ nicht eingestellt. Eine Teilnahme war für mich und andere Externe möglich, ebenso Protest. Darüber hinaus wird für jede Person, die sich auch nur etwas mit den Themen Geschlechterpolitik und der sozialen Konstruktion von Geschlecht beschäftigt, sehr schnell deutlich, dass es sich um eine zutiefst antifeministische Argumentation handelt, die in keiner Weise daran interessiert ist, Ungleichheiten abzubauen und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Auf sachlich vorgetragene Kritik und nachgewiesene Falschaussagen reagiert Birgit Kelle dann auch ausschließlich mit Wiederholungen bereits vorgetragener irreführender und stereotyper Inhalte. Andererseits verdeutlicht der Besuch das Potenzial des gesellschaftlichen Brennstoffs des Thematik. Vielen Anwesenden war die Widerlegung von Falschaussagen schlichtweg egal. Ebenso wurde bereitwillig und zum Teil sogar enthusiastisch in die Abwertung anderer Personengruppen eingestimmt. Auch wurde von einigen erfreut darauf reagiert, dass die CDU mindestens auf Landesebene einen Raum dafür bietet, geltendes EU- und deutsches Recht zur Diskussion zu stellen, wie dies durch Birgit Kelle mit Gender Mainstreaming passiert. Die Realisierung einer solchen Veranstaltung zielt dabei klar darauf ab, die CDU für Personen wieder interessant zu machen, die sich der AFD und/oder rechtspopulistischen Gruppierungen zuwenden – und trägt damit entscheidend zur Legitimation und Aufrechterhaltung diskriminierender Verhaltensweisen bei.
Ich korrigiere mich: Ich gehe wütend aus der Veranstaltung.
Ich habe diesen Monat ja wieder einen Themenmonat ausgerufen! Hurra!
Aber, da war die große Frage zu Beginn: Wie schreibt man einen Blogeintrag über Feminismus und Chancengleichheit, ohne bei den Bloglesenden in irgendeiner gedanklichen Schublade zu landen in die ich nicht rein will?
Antwort: Das geht gar nicht! Ich hab keinen Einfluss drauf, was jemand denkt.
Und: Wir arbeiten ja alle mit Schubladen, die uns helfen, in unserer Wahrnehmung auftauchende Sachverhalte und Personen einzuordnen und unser Verhalten darauf möglichst schnell abstimmen zu können. Wir brauchen die Schubladen, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben und uns nicht paralysiert mit großen Augen auf die Straße zu setzen, weil wir nicht wissen, wie wir mit den ganzen Informationen die auf uns einströmen umgehen sollen.
Was mich gerade beim Schreiben eher irritiert, ist meine Angst vor dieser Schublade: Wie wird sie denn heißen, diese Schublade? Steckt man mich in die Schublade "FEMINISTIN"? Und wenn? "Feministin" ist doch eine gute Schublade? Da bin ich doch gerne drin? Da fühl ich mich doch zuhause?
Jaaahaha: Beim längeren Überlegen ist es gar kein Problem in dieser Schublade zu sein...
ICH MAG NUR NICHT, DASS JEMAND ANDERS MICH DA REINSTECKT (und das nachher auch noch abwertend meint)!
Ich will da lieber mit Anlauf SELBST reinhüpfen! Und ich hab Bock, so viele wie möglich dort zu treffen!
Caitlin Moran ist britische Kolumnistin und Autorin und hat gesagt: "Ich fordere Sie hiermit auf, `Ich bin eine Feministin.´ zu sagen. Am liebsten wäre es mir, wenn Sie auf einen Stuhl steigen und von dort oben `ICH BIN EINE FEMINISTIN!´ rufen würden - weil ich generell der Meinung bin, dass alles, was man macht, gleich viel aufregender ist, wenn man dabei auf einem Stuhl steht." (Das Zitat ist aus ihrem absolut lesenwerten Buch "How to be a woman".)
Ich hab da mal eine Zeichnung dazu gemacht. Mit einem weiteren Zitat von Caitlin Moran. Aus aktuellem Anlass.
Schreib mir eine kurze Nachricht auf Instagram und hier als Kommentar - oder zeichne mir eine!
Hinweis in eigener Sache: Seit 2020 spende ich das meiste meines Honorars für die Zeichnungen an die Zivile Seenotrettung im Mittelmeer.
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